„Ich habe eine so schreckliche Nachricht für dich, für uns, für alle. Es tut mir so weh. Wie soll ich es dir nur erklären? Nai Aahra, du musst deine Familie, deinen Stamm, deine Heimat verlassen. Schon morgen“, sprach er mit zitternder Stimme.
Nie hatte sie ihren Vater weinen sehen.
Sie verstand nicht, sie konnte nicht, sie wollte nicht verstehen. Das Blut hämmerte in ihrem Kopf. Sie begann zu frieren, während ihr der Schweiβ aus allen Poren ihrer jugendlichen Haut trat. Dann brach sie zusammen.
Nach einem fiebrigen, unruhigen Schlaf führten ihre Eltern sie aus der Hütte, in der sie so gerne zu Hause war. Die Gemeinschaft stand schweigend auf dem sandigen Platz. Ein Pferd wartete darauf, von ihr bestiegen zu werden.
„Warum muss ich euch verlassen? Wohin soll ich denn nur gehen?“, schluchzte Nai Aahra.
„Habe ich etwas falsch gemacht? Ist das alles nur ein böser Traum?“
„Du weiβt, dass wir dich gern unter uns hätten, du hast nichts falsch gemacht. Ein böser Traum ist es leider auch nicht. Eine dunkle Zeit bricht an. Ein Visionär hat es den Stammesältesten geschildert und sie überzeugt. Ich muss ihren Entschluss zu meinem machen. Ein grausamer Herrscher wird die vor uns liegende Zeit bestimmen. Unterdrückung und Hass erwarten uns. Nai Aahra, nur du kannst es verhindern. Seine Krieger suchen dich bereits. Um uns und alle anderen Völker zu schützen, musst du dich auf den Weg machen, um das Unheil zu vermeiden.“
Sie suchte nach den schützenden Händen ihrer Mutter. Sie fand sie nicht. Sie hoffte auf Stimmen, die diesen Wahnsinn zu verhindern wussten. Sie vernahm sie nicht. Sie hörte nichts. Ihr Clan stand wortlos im leichten Wind.
„Warum ich? Was soll ich verhindern? Das Boshafte? Krieg und Vernichtung? Ich bin doch nur ein einfaches Mädchen, das so gern unter euch ist. Ich soll die Welt retten? Ich weiβ nicht einmal, was sie ist“, rief sie verzweifelt.
Niemand reagierte.
Sie stieg unsicher auf das Pferd und blickte noch einmal auf ihren Baum, in dem sie so oft die Zeit mit sich allein genoss. Dann ritt sie davon.
Dirk Morenweiser